Gesundheitspolitik 2
 

von Chefapotheker Dr. Lutz Vogel 


 


Gesundheitspolitik in Deutschland:
   
Jeder, der sich an der Diskussion beteiligt, will die eierlegende Wollmilchsau neu erschaffen.
Als direkt Betroffener kann ich es mir dann doch auch nicht nehmen lassen, gewisse Fragestellungen aus meiner persönlichen Sicht darzustellen.

Seite 1: Ausgewählte Fakten zur Ausgangssituation, kurzgefasst
  
Seite 2: Zur Diskussion einiger Änderungsvorschläge für das Gesundheitswesen in Deutschland
  

Gesundheitspolitik Seite 2:

2-Klassen-Medizin oder Solidargemeinschaft?

Kopfpauschale oder Beitragssystem?

Notwendige Strukturveränderungen

Wie viel darf Gesundheit kosten?


2-Klassen-Medizin oder Solidargemeinschaft?:

Die finanziellen Risiken im Krankheitsfall für den Einzelnen sind erheblich, z.B. bei Versorgung von Frühchen, Organtransplantationen, Dialyse etc. Je mehr Menschen diese Risiken gemeinsam tragen, um so besser sind sie zu bezahlen ("Risikopool"). Die Kosten für ein seltenes, aber mit teueren Folgekosten verbundenes Risiko lassen sich dann auf möglichst viele Beitragszahler verteilen.

Alternativ dazu kann ein klassisches Risikoversicherungsmodell gefordert werden, d.h. jeder muss sein eigenes persönliches Risiko absichern.

Hier sehe ich im wesentlichen drei Nachteile: 

- die risikobezogene Prämie steigt mit dem Alter und eintretenden chronischen Krankheiten nach oben,

- die Prämien können bei weitem nicht von allen Einwohnern, gerade auch von den älteren Mitbürgern bezahlt werden,

- eine Schadensgrenze nach oben ist festgesetzt, die im Einzelfall unzureichend sein kann.

Entscheiden wir uns als Gesellschaft für die Erhaltung des Solidaritätsprinzips im Deutschen Gesundheitswesen, dann sollten wir auch den Risikopool möglichst groß gestalten. Auf "Gute Risiken" zu verzichten, ist fahrlässig. Daher sollte es keine Möglichkeiten für eine private allgemeine Krankenversicherung geben, auch Beamte und Selbstständige sind in den Risikopool mit zu beteiligen.

In einer Grundversorgung vereinbarte Leistungen dürften ausschließlich im Rahmen der Risikopoolfinanzierung geleistet werden, um unerwünschte Verschiebungen stark nachgefragter Leistungen in einen Selbstzahlerbereich zu verhindern.

Kalkulierbare und begrenzte Gesundheitsrisiken könnten dagegen über risikobezogene Individualversicherungen finanziert werden: z.B. Zahnersatz, Schönheitsoperationen, evtl. spezielle Unfallversicherungen.

Ein gemeinsames Finanzierungssystem macht die Vielzahl der jetzt bestehenden Krankenkassen überflüssig, weniger als 10 Krankenkassen in Deutschland sollten genügen.


Fazit:
 
Entscheiden wir uns für den Erhalt des Solidaritätsprinzips im Gesundheitswesen in Deutschland. Das geht aber nur, wenn auf die praktische Möglichkeit einer 2-Klassen-Medizin konsequent verzichtet wird.
 


Kopfpauschale oder Beitragssystem?:

Wie auf Seite 1 dargestellt, bieten weder Kostenreduzierung, Rationalisierung noch Steuermittel genügende Reserven für eine nachhaltige Sicherung der Finanzierung im Deutschen Gesundheitswesen. Das jetzige System belastet einseitig die nichtselbstständigen Arbeitnehmer und deren Arbeitgeber, die Kosten für den Arbeitnehmer steigen mit der Zahl der Arbeitsplätze.

Abhilfe kann hier nur eine Reform der Finanzierung leisten, die einerseits das Beitragsaufkommen von Arbeitsplätzen entkoppelt und andererseits die Finanzierung möglichst gleichmäßig auf alle Einwohner in Deutschland verteilt. Dabei muss natürlich der soziale Aspekt der Leistungsfähigkeit des Einzelnen beachtet werden (=sozialverträglich).

Auf den Arbeitgeberbeitrag in bisheriger Höhe (ca. 40% der Gesamtkosten) kann keinesfalls verzichtet werden. Eine denkbare Möglichkeit der Entkopplung von der Zahl der Arbeitsplätze wäre eine Festlegung der Beitragshöhe aufgrund der an einem Stichtag gezahlten Summe, diese wird dann gemäß eines Index (Inflationsausgleich, BIP-Steigerung, Steigerung der Lohnsumme etc.) fortgeschrieben. Z.B. kann man den jährlich von einem Betrieb zu zahlenden Betrag aufgrund einer Selbstauskunft schätzen und veröffentlichen, sicherlich gibt es weitere und auch bessere Methoden einer Erhebung des Arbeitgeberbeitrages.

Ein rein prozentuales Beitragssystem für die Einwohner in Deutschland hat einen wesentlichen Nachteil des bisherigen Systems: die Bezieher unterdurchschnittlicher Einkommen zahlen zu wenig, die Bezieher überdurchschnittlicher Einkommen zuviel. Das Problem ist es, diese Schieflage in die Zukunft fortzuschreiben, Umgehungstatbestände bei Besserverdienenden werden provoziert (so wie jetzt der Rückzug aus der Solidaritätsgemeinschaft durch private Krankenversicherung).

Bleibt es bei einem Arbeitgeberbeitrag  von 40%, dann sind rund 150,- Euro pro Einwohner notwendig, um den jetzigen Zustand der Gesundheitsversorgung zu bezahlen. Auch dann wird es leider genügend Einwohner geben, die diesen Beitrag nicht in voller Höhe leisten können. Dann könnte einerseits für die Kinder durch eine 3-5%ige Steuererhöhung Kosten finanziert werden, andererseits für Sozialschwache ein mäßiger Beitrag bezogen auf das Einkommen zusätzlich zur "Kopfpauschale" von Besserverdienenden erhoben werden:

100  Mrd. Euro zahlen die Arbeitgeber

10    Mrd. Euro aus Steuererhöhung für Kinder

100   Mrd. Euro aus voller/gekürzter Kopfpauschale (80% der Einwohner)

30    Mrd. Euro aus zusätzlichen Beiträgen für Besserverdienende (20% der Einwohner)

 

Fazit:

Eine sozialverträgliche Kombination aus Kopfpauschale, zusätzlicher Belastung für Besserverdienende, Steuermitteln  und Arbeitgeberbeitrag sollte in der Lage sein, mittelfristig eine vernünftige Finanzierung für das Gesundheitswesen in Deutschland zu sichern.

 


Notwendige Strukturveränderungen

Die Patienten haben Anspruch auf eine offene Zusammenarbeit aller Heilberufe im Netzwerk. 
 
Solche Netzwerke können nur regional funktionieren.
 

Die Trennung ambulant/stationär muss wegfallen. Fach- und Hausärzte sollten gemeinsam, z.B. in Gesundheitszentren, tätig sein und ärztliche Leistung als Gesamtkonzept anbieten ("Disease Management"). Apotheker übernehmen die Verantwortung dafür, dass im Rahmen des Gesamtbudgets die Arzneimittelkosten "stimmen" und erreichen das durch Patientenbetreuung ("Hausapothekenmodell", "Pharmaceutical Care").

Die Versorgungsqualität muss durch regionale Konsensbildung abgesichert werden: Behandlungsleitlinien, "Clinical Pathways", Arzneimittellisten, Fort- und Weiterbildung, Ausschluss von nicht effektiven  Therapieverfahren.
 
Es entsteht ein regionaler Gesundheitsmarkt.

Wenn die sektorale Trennung in ambulant oder stationär zugunsten regionaler Netzwerke aufgegeben wurde, dann kann es ein globales Budget für Gesundheitsleistungen geben. Die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt, dass eine Kostendämpfung im Rahmen der Selbstverwaltung funktioniert (s. Seite 1)
 
Fazit:

Alle Heilberufe übernehmen gemeinsam Budgetverantwortung, leisten Abbau von Bürokratie und Stärkung der Selbstverwaltung. 
Ein regionaler Gesundheitsmarkt bietet alle Leistungen aus einer Hand.


Wie viel darf Gesundheit kosten?

Kosten im Gesundheitswesen nominal, als reinen Geldbetrag zu betrachten, ist problematisch. So wird weder Kaufkraft und Inflation noch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft berücksichtigt. International werden die Kosten als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) miteinander verglichen. Je nachdem ob man den OECD-Daten oder denen des Bundesamtes für Statistik folgt liegen dieser Anteil für Deutschland 1994 bei 8,6 bzw. 10,4% (s. Seite 1). Für 2003 gibt das Statistische Bundesamt 11,3% an. Allerdings ist das BIP in Deutschland 2002 nur um 0,1% gestiegen, 2003 sogar um 0,3% zurückgegangen. 2004-2006 stieg das BIP um durchschnittlich 1,5% jährlich, der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP lag in Deutschland laut OECD 2005 bei 10,7%.

Es sollte somit möglich sein, eine globale Budgetvorgabe für das Gesundheitswesen als Prozentsatz eines zu erwartenden BIP zu ermitteln. Bei steigender bzw. sinkender Wirtschaftsleistungen ist eine Anpassung der Versorgungsleistungen notwendig.

Für eine praktische Umsetzung der Budgetvorgabe ist die Aufgabe der sektoralen Versorgungsbereiche und eine ganzheitliche Versorgung für Patienten zwingend notwendig.

Fazit:

Ohne globale Budgetierung ist keine nachhaltige Finanzierung im Deutschen Gesundheitswesen möglich. Das Budget kann der Entwicklung des Bruttoinlandproduktes (BIP) folgen. Voraussetzung ist die ganzheitliche Versorgung für Patienten, z. B. im regionalen Gesundheitsmarkt.

 


 

Ausgewählte Fakten zur Ausgangssituation, kurzgefasst

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