Gesundheitspolitik 1
 

von Chefapotheker Dr. Lutz Vogel 


 


Gesundheitspolitik in Deutschland:
   
Jeder, der sich an der Diskussion beteiligt, will die eierlegende Wollmilchsau neu erschaffen.
Als direkt Betroffener kann ich es mir dann doch auch nicht nehmen lassen, gewisse Fragestellungen aus meiner persönlichen Sicht darzustellen.

Seite 1: Ausgewählte Fakten zur Ausgangssituation, kurzgefasst
  
Seite 2: Zur Diskussion einiger Änderungsvorschläge für das Gesundheitswesen in Deutschland
  

Gesundheitspolitik Seite 1:

Gesamtausgaben für das Gesundheitswesen in Deutschland

Einnahmen für das Gesundheitswesen in Deutschland

Beschäftigte im Deutschen Gesundheitswesen

Arzneimittelkosten

Demographie und Kosten im Gesundheitswesen

Steuermittel für das Gesundheitswesen?


Gesamtausgaben für das Gesundheitswesen in Deutschland:

1990:     203 Euro pro Monat und pro Einwohner (nur alte Bundesländer)

2000:     221 Euro pro Monat und pro Einwohner (neue und alte Bundesländer)

2003:     242 Euro pro Monat und pro Einwohner

(Quellen: Statistische Taschenbücher Gesundheit 1992 und 2002 (BMG), www.destatis.de)
Diese Zahlen berücksichtigen noch nicht die Geldentwertung (Inflationsrate). Das Statistische Bundesamt (www.destatis.de) nennt einen Anstieg des Verbraucherpreisindex um 4,5% für die Jahre 2000-2003 an. D.h. inflationsbereinigt sind die Ausgaben für das Gesundheitswesen um tatsächliche 1,5% pro Jahr angestiegen.

Von 1992 bis 2003 stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 19,6% (preisbereinigt), der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP stieg um knapp 12%. Seit 2001 hat Deutschland allerdings mit einem unterdurchschnittlichen Wachstum des BIP zu kämpfen!

2004 stieg das BIP wieder  an, der Zuwachs von 2004-2006 ist mit insgesamt 4,6% zu beziffern. Die Gesamtkosten für das Gesundheitswesen machten im Jahr 2005 10,7% des BIP aus, der OECD-Durchschnitt liegt bei 9,0%).

(Stuttgarter Zeitung vom 12.01.2007; ABDA, Pharmapolitik International 28/2007)

Fazit:     

Die Kosten im Gesundheitswesen steigen geringfügig, keinesfalls findet eine "Kostenexplosion" statt.


Einnahmen für das Gesundheitswesen in Deutschland:

1999     36,4 Mio. Erwerbstätige           45,6 Mio. Nicht-Erwerbstätige

2004     35,7 Mio. Erwerbstätige           46,8 Mio. Nicht-Erwerbstätige

 

Die Einnahmen für das Gesundheitswesen werden zu 80% von Erwerbstätigen erbracht, daran beteiligen sich die Arbeitgeber zur Hälfte. Vereinfacht betrachtet zahlt so jeder nichtselbstständige, vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nicht nur für seine eigene Gesundheitsversorgung, sondern auch für die eines weiteren Mitbürgers.

Somit ist nach den fünf Jahren 1999-2004 die Finanzierung für das Gesundheitswesen von mind. 
1,4  Mio. Einwohnern in Deutschland komplett ausgefallen!

Fazit:

Solange die Einnahmen für das Gesundheitswesen zu 80% an sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gekoppelt bleiben, solange müssen wir mit weiteren erheblichen Einnahmeausfällen für das Gesundheitswesen in Deutschland rechnen, da in absehbarer Zeit die Zahl der Erwerbstätigen weiter abnehmen wird.
 


Beschäftigte im Deutschen Gesundheitswesen:

1990:     1 Arzt für je 326  Einwohner in Deutschland

2004:     1 Arzt für je 270 Einwohner in Deutschland

(29% des Personals in Arztpraxen und Krankenhäusern ist in Teilzeit tätig)
 


1992:     1 Apotheker für je 1911 Einwohner in Deutschland

2004:     1 Apotheker für je 1528  Einwohner in Deutschland
 
(30% des Apothekenpersonals ist in Teilzeit tätig)


In der Gesundheitswirtschaft von 1997 bis 2001:

-  gingen 152000 Vollzeitstellen verloren,

-  entstanden 113000 Teilzeitstellen

- betrug der Personalanstieg 0,4%

In der Gesamtwirtschaft stieg das Personal im gleichen Zeitraum um 4,4%

(Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 24. April 2003)

Im Jahr 2004 gab es 4,23 Mio. Beschäftigte im Gesundheitswesen, das sind 11,85% aller Erwerbstätigen.
  
Fazit:

Das Personal im Deutschen Gesundheitswesen ist bestenfalls knapp ausreichend, vielfach besteht Ärzte und/oder Apothekermangel.


Arzneimittelkosten:

Im Vergleich zum 1.Hj. 2004 stiegen im ersten Hj. 2005 die Arzneimittelkosten um 1,86 Mrd. Euro (20%). Dabei ist die 2004 neu eingeführte Praxisgebühr und die Umstellung der Arzneimittelpreisverordnung zu berücksichtigen, die zu einem erheblichen Vorzieheffekt 
(=Struktureffekt) in das Jahr 2003 führten:

Absenkung des Herstellerrabattes von 16%(2004) auf 6%(2005)     + 460 Mio. Euro
Statistischer Basiseffekt                                                                          + 350 Mio. Euro
Niedrige Zuzahlungsquote                                                                       + 240 Mio. Euro
Strukturquote                                                                                             + 600 Mio. Euro
Preiseffekt                                                                                                 +   30 Mio. Euro
Verordnungszuwachs                                                                               + 350 Mio. Euro
Neue Festbeträge                                                                                     - 170 Mio. Euro

Die 2004 neu strukturierte Arzneimittelpreisverordnung für Apotheken machte die Apotheker weder zu Verursachern noch zu Profiteuren dieser Entwicklung. Die öffentlichen Apotheker verzichteten 2005 zudem auf eine gesetzlich festgeschriebene Rückerstattung von Kassenseite in 
Höhe von 350 Mio. Euro.

(ABDA, Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, 2005)

Laut OECD Daten von 2005 machen Arzneimittel in Deutschland 15,2% der Kosten im Gesundheitswesen aus (zum Vergleich: OECD-Durchschnitt ist 17,2%)

(ABDA, Pharmapolitik International, 28/2007) 

Selbst wenn es gelungen wäre, den durch die Politik verursachten Ausgabenzuwachs von 1,86 Mrd. Euro in 2006 wieder "einzufangen", hätte das die Gesamtausgaben im Gesundheitswesen gerade mal um ca. 0,75% gesenkt, noch nicht einmal ein Inflationsausgleich!

Fazit:

Im internationalen Vergleich sind die Arzneimittelkosten in Deutschland unterdurchschnittlich. Der geringe Anteil der Arzneimittelkosten an den gesamten Kosten im Gesundheitswesen eröffnet ein nur geringes Einsparungspotential.
 


Demographie und Kosten im Gesundheitswesen:

In Deutschland steigt der Anteil der Einwohner, die älter als 65 Jahre sind, pro Jahr um 0,2% an, die Zahl der Menschen in Deutschland, die mehr als 80 Jahre alt sind, verdreifacht sich alle 10 Jahre. Die demographische Alterung der deutschen Gesellschaft ist eine Tatsache.
 
Ein Vergleich der OECD-Länder von 1994 zeigt:
 

Land Anteil der über 65jährigen [%] Anteil der Gesundheitsausgaben 
am Bruttoinlandsprodukt (BIP) [%]
Schweden 17,5 7,7
USA 12,7 14,7
Deutschland 16 8,6*
*Das Statistische Bundesamt gibt für 1994 10,4% an.
 

Zitat: "Verteilt man die Gesundheitsausgaben auf die Lebensphasen einer Person, dann zeigt sich, dass ein weit überproportionaler Anteil im letzten Lebensjahr anfällt, gleichgültig in welchem Lebensalter dieses liegt. Wenn die Ausgaben für die medizinische Versorgung im letzten Lebensjahr ausgeklammert werden, ist der statistische Zusammenhang zwischen Ausgaben und Alter nur noch schwach bzw. nicht mehr eindeutig vom Zufall zu unterscheiden. Die Schlussfolgerung lautet:
 
Da jeder nur einmal ein letztes Lebensjahr erlebt, wird sich ohne Bevölkerungswachstum dieser große Ausgabenblock [für Gesundheit] auch nicht altersbedingt erhöhen."
  
(Kühn H., 2001)

 
Fazit:
 
Die Gesundheitsausgaben sind nicht entscheidend vom Anteil der älteren Mitbürger in einem Staat abhängig.

Im Gegensatz dazu sind die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Rentenfinanzierung dramatisch.
 


Steuermittel für das Gesundheitswesen?:

Das Steueraufkommen aus allen Einkommensarten (ohne Solidaritätszuschlag) betrug in Deutschland 2004 182 Mrd. Euro, aus der Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) 105 Mrd. Euro. D.h. Lohn/Einkommensteuer und Mehrwertsteuer müssten zusammen fast verdoppelt werden, um das Gesundheitswesen zu finanzieren.

Ein zu wesentlichen Anteilen steuerfinanziertes Gesundheitswesen in Deutschland wäre theoretisch nur bei radikaler Steuerreform denkbar, z.B. Umstellung aller Steuerarten auf eine sehr viel höhere Mehrwertsteuer bei gleichzeitigem Bürgergeld.

Praktisch können Steuermittel auch in Zukunft nur einen geringen Beitrag zur Finanzierung des Gesundheitswesens leisten. Ein weiterer Solidaritätszuschlag in gleicher Höhe wie bisher würde 
10 Mrd. Euro zusätzlich bringen, damit wäre sicherlich eine gewisse Schmerzgrenze bei den Wählern erreicht oder sogar überschritten. Verwendet man diesen Beitrag ausschließlich zur Versorgung der Kinder unter 18 Jahren, könnte eine Akzeptanz ohne allzu schmerzhafte Quittung bei zukünftigen Wahlen gegeben sein.

Fazit:

Realistisch gesehen können maximal 3-5% der Kosten im Gesundheitswesen aus Steuermitteln geleistet werden.

 


 

Zur Diskussion einiger Änderungsvorschläge für das Gesundheitswesen in Deutschland
 
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