Beurteilung Klinischer Studien
 

von Chefapotheker Dr. Lutz Vogel 


 


Alle Gesundheitstipps sind zu  Ihrer Information gedacht. Bitte bedenken Sie Ihre eigene Situation, bevor Sie einer der Empfehlungen folgen.  Eine Gewährleistung oder Haftung  muss ich natürlich ablehnen!  Handelsnamen nenne ich nur soweit nötig,  ohne irgendeine Form von Vergütung dafür erhalten zu haben.


Zur Beurteilung von Ergebnissen klinischer  Studien

Die persönliche Erfahrung reicht nicht aus, um  die Wirksamkeit eines Arzneimittels zu  beurteilen. Beispielsweise kommen  Nebenwirkungen nicht bei jedem Patienten zum Vorschein. Studien sind  grundsätzlich notwendig um die Frage zu beantworten, ob ein   bestimmtes Medikament der Mehrheit aller Patienten, die es erhalten,  entweder nutzt, nichts bringt oder gar schadet.

Jetzt heißt es: Keine Angst vor Fach"chinesisch",  in diesem Falle Fachenglisch!

 

Arzneimittelstudien:  Das Ergebnis, das am Ende stehen muss !

NNT

= Number Needed  to Treat

Die Zahl (an  Patienten), die man insgesamt behandeln muss, damit einer dieser  Patienten von der getesteten Behandlung (z.B. mit einem  neuen  Arzneimittel) profitiert.

NNH

= Number Needed  to Harm

Die Zahl (an  Patienten), die man insgesamt behandeln muss, um eine schädliche  Wirkung der getesteten Behandlung (z.B. mit einem neuen  Arzneimittel)  bei einem Patienten zu beobachten.

 
 


Nun möchte ich in aller Kürze darstellen:

 

Erstens:

Wie werden Studien im Prinzip  durchgeführt ?

Zweitens

Welche Studienergebnisse können  verwendet werden ?

Drittens:

Wie werden Studienergebnisse  dargestellt ?

Viertens:

Bewertung von Studienergebnissen

Fünftens:

Was kann man mit diesen  Studienergebnissen anfangen ?


 

1. Wie werden Studien im Prinzip durchgeführt  ?

 

Eine Gruppe von Patienten erhält  die zu prüfende Therapie, z.B. das Medikament, dessen Wirkung  untersucht werden soll.

Das ist die
Experimentalgruppe

Eine vergleichbare Patientengruppe  erhält gleichzeitig die bisherige Standardbehandlung.

Das ist die
Kontrollgruppe.

Beide Patientengruppen werden in einem Zeitraum, der  vor Studienbeginn festgelegt wurde, beobachtetet ( Studiendauer ).

Wenn die im Rahmen der Studie behandelten Patienten  rein zufällig entweder der Experimentalgruppe oder der Kontrollgruppe  zugeordnet werden, spricht man von einer randomisierten Studie (random (engl.) = Zufall).

Bei einer doppeltblinden Studie wissen weder behandelnde Ärzte noch die Patienten selbst, ob  letztere zur Experimental- oder Kontrollgruppe gehören.

Das Behandlungsergebnis wird als Zielereignis festgelegt. Das Zielereignis  kann ein Krankheitsereignis sein, z.B. Schlaganfall, das durch die zu prüfende  Therapie weniger  häufig auftreten soll. Es kann aber auch ein zusätzlicher  Nutzen (engl. Benefit) durch die  geprüfte  Therapie erreicht und untersucht werden, z.B. eine zusätzliche  Lebenserwartung von einem Jahr.

Am Ende des Beobachtungszeitraumes vergleicht man  nun, wie häufig das (die)  Zielereignis(se) in der Experimentalgruppe  einerseits und in der Kontrollgruppe andererseits auftrat.
 


2. Welche Studienergebnisse könne verwendet  werden ?

Studienergebnisse sind beobachtete Unterschiede  zwischen Experimental- und  Kontrollgruppe. Solche Unterschiede können  nur dann berücksichtigt werden, wenn dieser Unterschied nicht zufällig beobachtet wurde.

Man sagt, das (Studien)ergebnis muss signifikant sein.

 Mit statistischen Verfahren wird getestet, mit  welcher Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis tatsächlich durch die geprüfte  Therapie und nicht durch Zufall beobachtet wurde. In der Regel wird der  sogenannte p-Wert angegeben.

p < 0,01 bedeutet, das mit mindestens 99%  Wahrscheinlichkeit das entsprechende  Ergebnis nicht zufällig  entstanden ist, es wäre also signifikant.

Es liegt in der Natur der Sache, das diese Aussage  sehr wichtig, aber in vielen Fällen  noch nicht ganz ausreichend ist.  Es müssen noch die Grenzen des sogenannten Vertrauensbereiches (engl. Confidence Interval, abgekürzt CI)  bekannt sein.  Üblicherweise sind das die Unter- und Obergrenzen,  zwischen denen das beobachtete Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von  95% auch tatsächlich liegt.
 


3. Wie werden Studienergebnisse dargestellt ?

Zeit für ein erstes Beispiel. Nach Herzchirurgie (koronare Bypass-Operationen)  sollen Medikamente, die die Gerinnungsfähigkeit des Blutes  herabsetzen, einen (evtl.  erneuten) Herzinfarkt, einen Schlaganfall oder  den Tod des Patienten durch eine Herz-Kreislauf-Erkrankung verhindern.  Diese Frage wurde u.a. in der CAPRIE-Studie (Bhatt et  al., Circulation 2001) untersucht und die drei genannten  Zielereignisse zu einem sogenannten kombinierten  Endpunkt zusammengefasst:

 

Experimentalgruppe:

775 Patienten, die  75mg Clopidogrel (das ist das geprüfte  Arzneimittel) pro Tag erhielten

Kontrollgruppe:

705 Patienten, die  325mg Acetylsalicylsäure (=Aspirin) pro Tag erhielten

 
 
Das Studienergebnis:
 

Zielereignis:  Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod durch Herz-Kreislauf-Erkrankung
innerhalb eines Jahres

Häufigkeit in der  Experimentalgruppe:

Häufigkeit in der  Kontrollgruppe:

5,8%

9,1

Der p-Wert wird mit p=0,004 angegeben. Damit ist das  Ergebnis signifikant.

Aus den genannten Prozentzahlen kann man jetzt die relative Risikoreduktion berechnen:

( 9,1%minus5,8% ) geteilt durch9,1 ergibt 0,36;

0,36 mal 100% = 36%

 

36% Risikoreduktion, das klingt gut.  Daher endet hier auch die Darstellung der Studienergebnisse im  Firmenprospekt:

 "Deutliche Überlegenheit  von Clopidogrel gegenüber Acetylsalicylsäure bei Patienten mit  Herzoperation in der Vorgeschichte...Die Clopidogrel-Therapie  führt  im Vergleich zur Acetylsalicylsäure zu einer drastischen Reduktion  des erhöhten Risikos für rezidivierende ischämische  Ereignisse (=Herzinfarkt oder Schlaganfall ), die bei Patienten mit  Herzoperation in der Vorgeschichte beobachtet werden..." (Iscover-Prospekt, ACC-News 2000, Bristol-Myers Squibb)
 


 

4. Bewertung von Studienergebnissen

Lassen Sie sich nicht von hohen Zahlen  für eine relative Risikoreduktion blenden. Jetzt muss die

NNT (Number Needed toTreat, s.o.) berechnet werden:

 

NNT = 100% geteilt durch (9,1%minus5,8%) = 30

(Die  NNT wird immer auf eine ganze Zahl gerundet)

 

Sie müssen insgesamt mindestens 30  Patienten mit Clopidogrel behandeln, damit einer dieser Patienten zusätzlich  im Vergleich zur Standardtherapie einen Nutzen hat:

 

30 Patienten mit Clopidogrel behandelt:

1-2 Patienten
erleiden innerhalb eines Jahres einen Herzinfarkt  oder Schlaganfall bzw.  versterben aufgrund einer  Herz-Kreislauf-Erkrankung

30 Patienten mit Acetylsalicylsäure behandelt:

2-3 Patienten
erleiden innerhalb eines Jahres einen Herzinfarkt  oder Schlaganfall  bzw. versterben aufgrund einer  Herz-Kreislauf-Erkrankung

Das klingt erst einmal nicht so berauschend.  Trotzdem ist eine NNT von 30 ein sehr gutes Ergebnis.Warum ?

Angenommen wir behandeln 10.000 Patienten nach einer  Herzoperation mit  Clopidogrel anstatt Acetylsalicylsäure:

10.000geteilt durch30 = 333

In einem Jahr hätten wir 330  Patienten weniger mit Herzinfarkt, Schlaganfall  oder die aufgrund einer  Herz-Kreislauf-Erkrankung versterben !

 

Jetzt müssen wir nur noch  den Vertrauensbereich berücksichtigen,  diese Angabe muss veröffentlichten Studiendaten entnommen werden:

 Mit einer Wahrscheinlichkeit von  95% ist die beobachtete NNT mindestens 21 und höchstens 82.

Damit gilt für unsere 10.000  Patienten:

In einem Jahr hätten  wir mindestens 120 Patienten und bestenfalls 480  Patienten weniger mit  Herzinfarkt, Schlaganfall oder die aufgrund einer  Herz-Kreislauf-Erkrankung versterben !

 

 Nachdem wir jetzt wissen, wie sich NNT und  Vertrauensbereich auswirken, sollten wir die Ergebnisse für jedes  einzelne Zielereignis und eventuelle weitere Zielereignisse  der  CAPRIE-Studie für Patienten nach einer Herzoperation betrachten:

 

Zielereignis:

NNT:

Vertrauensbereich:

Tod durch Herz-Kreislauferkrankung

71

46-659

Herzinfarkt

66

41-1070

Schlaganfall

-

nicht signifikant

Tod

-

nicht signifikant

 


 

5. Was kann man mit diesen  Studienergebnissen anfangen?

Wenn es nur nichts kosten würde!

 Clopidogrel (Plavix®, Iscover®) kostet in  Deutschland zur Zeit 2,86 Euro pro Tag,  Acetylsalicylsäure (Aspirin®  protect) 0,09 Euro pro Tag:

10.000 mal 2,86 mal 365 = 10.439.000 Euro

10.000 mal 0,09 mal 365 = 328.500 Euro

 

10  Millionen Euro Mehrausgaben für 330 Patienten,

die dann  eben nicht innerhalb eines Jahres aufgrund einer  Herz-Kreislauf-Erkrankung  versterben oder einen Herzinfarkt bzw. Schlaganfall erleiden.

 

Was ist zu tun ? Wer entscheidet  eigentlich in Deutschland darüber, ob diese zusätzlichen  Euromillionen ausgegeben werden? Habe ich als Patient einen Anspruch darauf, dass mir, sollte ich (leider) betroffen sein, das bessere Clopidogrel verschrieben wird ?

Sicher wird uns die Expertenmeinung  weiterhelfen:

"Solange  wir auf bestätigende Wertung (der Ergebnisse ) und gründliche  Kosten-Nutzen-Abschätzung warten, würden wir den Einsatz von Clopidogrel  auf Patienten in den ersten Wochen nach Einsatz eines  koronaren Stents und diejenigen, für die Acetylsalicylsäure  kontraindiziert oder unwirksam ist, beschränken."
(Übersetzung  eines Zitates von P.W.Groeneveld, M.A.Hlatky, Stanford University, School  of Medicine,  Palo Alto, Cal. USA, in: Evidence-Based Medicine, 2001, Nr.  4)
   


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